Was für ein Glück: Der Schnee ist erst seit zwei Wochen weg und die Sonne hat seitdem so intensiv das Ruder übernommen, dass es Anfang März in Aargauer Gärten schon einiges zu entdecken gibt. Wir sind in Beinwil am See, genauer gesagt im Garten von Wildkräuterexperte Daniel Knecht, und möchten von ihm wissen, was zwischen Gänseblümchen und Löwenzahn sonst noch an Wild- und Heilkräutern wächst. Dass es eigentlich keine Unkräuter gibt, weiss mittlerweile fast jedes Kind, doch Kräuter einzuordnen, zu erkennen und zu bestimmen, bedarf vielleicht doch professioneller Hilfe. Rasenroboterbesitzern sei es gegönnt, an dieser Stelle abzubrechen und sich Wichtigerem zu widmen. Andere erkennen vielleicht beim Lesen das eine oder andere vermeintliche Unkraut in ihrem Garten wieder, das sich als nährstoffreicher Schatz erweist.
Was duftet denn da?
Kaum im Garten, kommt der fünfjährige Sohn von Daniel Knecht mit einem Stängel Wiesenlabkraut in der Hand angelaufen. Vielleicht braucht es scharfe Kinderaugen, um das noch junge und daher winzig kleine Wiesenlabkraut Anfang Frühjahr in der Wiese zu entdecken. «Sobald es blüht, verströmt es einen honigfeinen Duft. Dann braucht man nur noch der Nase zu folgen», erklärt uns der Wildkräuterexperte. Mit seinen Blattquirlen und dem mehrkantigen Stängel sieht Wiesenlabkraut auf den ersten Blick ähnlich aus wie Waldmeister, wächst aber bevorzugt auf Wiesen. Mild im Geschmack und sehr gesund ist es eine ideale Salatbeigabe.
Wundheilender Gundermann
In den Salat passt aufgrund seines nussigen Geschmacks ein weiteres Wildkraut, das wir unweit vom Wiesenlabkraut finden: Der Gundermann, auch Gundelrebe, ist bekannt für seine Heilkraft bei eitrigen Wunden. «Hat man ihn einmal entdeckt, wundert man sich darüber, wie man ihn bisher ignorieren konnte», so Daniel Knecht. Der Gundermann wächst in jedem halbwegs natürlichen Garten, oft neben Gänseblümchen oder Löwenzahn. Man erkennt ihn gut an seinen herzförmigen Blättern, die in die Höhe wachsen und später an seinen kleinen violetten Blüten. Verwechselt wird er dennoch häufig mit dem kriechenden Günsel. «Das ist aber nicht weiter schlimm», weiss der Experte, «denn auch dieses Kraut ist essbar, allerdings weniger geschmacksintensiv. Kriechender Günsel wird eher in Form von Tee als Heilpflanze verwendet.» Neben Gundermann und Günsel entdecken wir das kriechende Fingerkraut. Leicht erkennbar an den fünf Blättern, die sich wie fünf Finger abspreizen, weshalb das Kraut auch Fünffingerkraut genannt wird. Es «kriecht» am Boden entlang, wo es zahlreiche Ausläufer bildet und teppichartig ganze Gartenabschnitte bedecken kann. «Wegen dieser starken Ausbreitung ist er nicht immer beliebt. Doch auch in diesem Kraut stecken Heilkräfte und eine grosse Portion Vitamin C.» Eine Vitaminbombe also, die wir jetzt gut gebrauchen können. Die gelben Blüten ziehen zudem zahlreiche Insekten an und die gilt es ja auch zu schützen. Daher das Kraut lieber bändigen, statt komplett bekämpfen. «Am besten lässt man es dort wuchern, wo andere Pflanzen dem Winter nicht so gut die Stirn bieten können wie das zähe Fingerkraut», weiss Daniel Knecht.
Ein Kraut gegen Skorbut
Teppichallüren hat auch das flachwachsende Scharbockskraut, das im Frühjahr schon früh die kleinen, saftigen Blätter und etwas später auch die Blüten der Sonne entgegenstreckt. Für Bienen und andere Insekten ist Scharbockskraut eine wichtige Futterpflanze, doch auch für Menschen ist die Pflanze ein wichtiger Vitaminlieferant. Nicht umsonst ist Scharbock der alte Name für Skorbut, eine Vitamin-C-Mangelerkrankung, die lange als Seefahrerkrankheit bekannt war, aber auch allgemein nach entbehrungsreichen Wintern auftrat. Das früh spriessende Scharbockskraut war dann für viele die erste Möglichkeit, die Vitamin-C-Speicher zu füllen. Es sollte allerdings nicht zu viel davon und ausschliesslich vor der Blütezeit verzehrt werden, um Gifterscheinungen zu vermeiden.
Löwenzahn und Ferkelkraut
Der Löwenzahn als Vitaminbombe, der gefühlt «gegen alles» hilft, muss wohl nicht mehr gross vorgestellt werden. Daniel Knecht zeigt uns daher lieber den nahen Verwandten des Löwenzahnes: das gewöhnliche Ferkelkraut. Der besticht erst mal nicht durch seine Schönheit. Seine festen, borstig haarigen Blätter bilden im Garten einsame Blattinseln, in die man nicht gerne hineintritt, und seine Stängel ragen wie dünne Spargeln in die Höhe. Das verführt zum Ausgraben und Entsorgen. Doch hat auch dieses «Unkraut» geschmackliche und heilkräftige Vorzüge, es soll unter anderem verdauungsfördernd wirken. «Vielleicht erst mal eine kleine Inselgruppe stehen lassen», schmunzelt der Wildkräuterexperte. «Und die Blüten sind ja ganz schön.» Ähnlich vitaminreich wie der Löwenzahn ist der Wiesensauerampfer. In Deutschland gehört er in der Region um Frankfurt am Main zum festen Bestandteil der bekannten Frankfurter grüne Sauce, und auch hierzulande hält der Sauerampfer immer mehr Einzug in die Küche. Gut, wer ihn also im Garten findet. Verwechslungen mit anderen Ampferarten führen höchstens zu geschmacklichen Einbussen, sind aber nicht gefährlich, da keine der Arten giftig ist. «Allerdings enthält der Sauerampfer wie auch beispielsweise Spinat oder Rhabarber Oxalsäure und sollte gerade von Menschen mit Nierenleiden gemieden werden.»
Gefragte Arzneipflanze
Kein Garten ohne Spitzwegerich, die Arzneipflanze des Jahres 2014, insbesondere aufgrund ihrer Heilwirkungen auf Atemwege oder bei Wunden. Und die juckreizstillende Wirkung hat schon so manche Kindertränen nach Mücken- oder Brennnesselstichen verschwinden lassen. Die Lungenheilpflanze erkennt man recht gut an den langen schmalen Blättern, die im Frühling wie Speere aus dem Boden spriessen. Die typischen ährenartigen Blütenstände mit den weiss-bräunlichen Blüten sind fast unverkennbar. «Der Spitzwegerich ist unkompliziert und kommt in vielen Gärten vor», so Daniel Knecht. «Viele wissen aber gar nicht, dass sie ihn im Garten haben.» Das war bei uns bisher nicht anders. Stolperten wir über das eine oder andere Kraut doch eher zufällig. Für die Zukunft nehmen wir uns fest vor, das Potenzial im Garten mehr zu nutzen. Zahlreiche Bücher und mittlerweile auch Pflanzenerkennungs-Apps sollen dabei helfen. Und es gibt ja auch die Wildkräuterexperten wie Daniel Knecht. Unsere heutige Schatzsuche mit ihm müssen wir allerdings leider beenden, kommt unsere kognitive Aufnahmekapazität vor lauter neuem Wissen zu stark an ihre Grenzen. Dabei gäbe es noch so viele weitere Kräuter zu entdecken: Knoblauchrauke, gefleckte Taubnessel, Vogelmiere, Pimpernelle oder auch den Ehrenpreis. Alles Botschafter der Vielfalt im Garten, die uns und den Tieren zugutekommt, wenn wir es nur zulassen. Daniel Knecht, wir kommen wieder! Dominique Simonnot
Zutaten für einen Frühlingssalat mit Wildkräutern
Pro Person:
• etwa 20 Gramm Salatgrundlage z.B. Wiesenlabkraut
• 5 Gundermannblättchen
• 1—2 junge Nelkenwurzblätter
• 5—10 Gänseblümchenköpfe und ein paar Blättchen
• 3 zarte, kleine Löwenzahnblätter und eine kleine Wurzel
• 2 Walnüsse
• ¼ Zwiebel, fein gehackt
• etwas Kräuteressig
• 1 Esslöffel Salatöl
• 1—2 Messerspitzen Wildkräutersalz, Pfeffer